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Shodo, die Kunst mit Pinsel und Tusche chinesische oder japanische Schriftzeichen zu schreiben, gilt in Ostasien als Mutter aller Künste. Die chinesische Schrift ist ursprünglich eine Bilderschrift, deren älteste bekannte Formen über 3500 Jahre alt sind. Die Schrift, bei der jedes Zeichen eine Bedeutung hat, wurde immer abstrakter und bis ins 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung entwickelten sich fünf verschiedene Schriftstile. Jede heutige kalligraphische Form kann auf einen dieser fünf Stile zurückgeführt werden.
Sumi-E wird mit den selben Materialien ausgeführt wie Shodo, hat sich jedoch erst später entwickelt und benutzt zum Teil Pinseltechniken, die für die Schrift entwickelt wurden.
Shodo ist nicht nur eine vielfältige Kunstform, sondern auch eine meditative Tätigkeit, die verschiedene Sinne anspricht. Papier und Pinsel fühlen sich nicht immer gleich an, frisch angeriebene Tusche hat einen angenehmen Geruch und das optische Vergnügen schöner Materialien runden das Vergnügen ab.
Shodo übt Auge, Feinmotorik sowie Konzentrationskraft und wirkt beruhigend auf den Geist.
Nicht zuletzt ist Shodo aber ein Weg der Selbstvervollkommnung. Der Pinsel ist ein subtiler Tanzpartner und gleichzeitig ein strenger Lehrmeister, der uns nicht belügt. Spontane Schriftkunstwerke, besonders von Zen-Buddhisten, werden in Japan "Tuschespuren" genannt, Spuren des Geistes, die auch nach Jahrhunderten ihre Frische nicht verlieren.
(Hier finden Sie ein paar Beispiele von meinen Werken.)
Sasaki Yutaka Sensei (1921-2004) war mein Shodo und Kyudo Lehrer (Sensei).
Von 1938 bis 1945 lebte Sasaki Sensei in der Mandschurei wo er Jura studierte und natürlich die chinesische Sprache lernte.
Bis zu seinem Tod übte er Shodo mit echtem Anfängergeist und war als Kyudo Lehrer (7. Dan Kyoshi) wie auch als Schriftkünstler in Okayama hoch geachtet.
Ich hatte das Glück ab 1994 sein Schüler zu sein und konnte bei ihm viel über das alte Japan und China lernen. Wir lernten uns im Kloster Sogenji kennen, wo Sasaki Sensei den Abt, die Mönche und Nonnen in Kyudo unterrichtete. Sensei war mit Harada Roshi befreundet, der selbst ein bekannter Schriftkünstler ist.
Vor dem zweiten Weltkrieg aufgewachsen, vermittelte mir Sasaki Sensei die beiden Künste noch in einem ursprünglichen Stil, mit viel Strenge und Güte zugleich.
Die ältesten Schriftstile (Knochenschrift, Metallschrift, Siegelschrift und Kleine Siegelschrift) sind ursprünglich alles Ritzschriften mit einer gleichmässigen Linienbreite. Sie werden als Siegelschriften bezeichnet und wurden vorwiegend für sakrale Zwecke, wichtige Verträge und staatliche Verlautbarungen verwendet.
Durch die Erfindung von Pinsel und Tusche konnte auch auf Holz- und Bambusstreifen geschrieben werden. Es wurden immer mehr profane Texte wie z.B. Protokolle verfasst, für die man schnell schreiben musste. Die elegante Kleine Siegeschrift war dafür ungeeignet, weshalb die Kanzleischrift entwickelt wurde. Diese Schrift zeigte zum ersten Mal den Duktus des Pinsels.
Nach der Erfindung des Papieres wurde noch mehr geschrieben und auch die Kanzleischrift war bald zu umständlich. Bis ins 3. Jahrhundert n.Chr. entwickelten sich so die Regelschrift, Halbkursiv- und Kursivschrift, die sich alle flüssiger schreiben lassen.
Die heutige Druckschrift orientiert sich an der Regelschrift, während die Handschrift eher der Halbkursivschrift entspricht. Kursiv-, Kanzlei- und Siegelschrift werden nur noch in der Schriftkunst verwendet.
Die Zeichen bedeuten alle "Drachen" 龍
Tensho 添書, die Siegelschrift
Die ältesten Schriftzeichen (16.-11. Jh. v.Chr.) wurden eingeritzt in Knochen gefunden, weshalb sie auf japanisch Kōkotsubun (Knochenschrift) genannt werden.
Sie entwickelte sich zur Metallschrift weiter, die auf Metallgegenständen gefunden wurde.
Es waren oft Inschriften, die Spender, Ort und Anlass eines gestifteten Kultgegenstandes bezeichneten. Sie waren reine Bedeutungsträger und noch nicht als Kunstform angesehen, weshalb die Namen der Schreiber nicht überliefert sind.
Durch die erste Vereinheitlichung der chinesischen Schrift entstand die "kleine Siegelschrift". Das Beispiel rechts ist in der kleinen Siegelschrift geschrieben.
Tensho wird heute fast nur noch für Namensstempel verwendet.
Reisho 隷書, die Amtsschreiberschrift
Erst die Erfindung von Pinsel und Papier ermöglichte eine schnelle und flüssige Schreibweise mit sich stufenlos ändernder Strichstärke.
Die erste dieser „neuen“ Schriften war die „Amtsschreiberschrift“ Reisho(siehe Bild), die sich aber noch nicht flüssig bzw. schnell schreiben liess.
Die Form der einzelnen Linien und Punkte ist genau vorgegeben.
Heute benutzt man Reisho besonders noch bei Texten, die einen offiziellen oder klassischen, ja fast urtümlichen Eindruck erwecken sollen.
Sosho 草書, die Kursivschrift
Da Reisho sich nicht schnell genug schreiben liess um Protokolle zu verfassen, lange Briefe zu schreiben oder Texte schnell zu kopieren, wurden die Zeichen vereinfacht und die einzelnen Striche miteinander verbunden.
Oft werden auch mehrere Zeichen miteinander verbunden, so dass sogar eine ganze Gedichtzeile aus einer durchgehenden Linie bestehen kann (aber nicht muss!)
So entwickelte sich die stark veränderte, kursive Sōsho.
Obwohl auch hier Regeln einzuhalten sind, ermöglicht Sōsho ein breites Spektrum des persönlichen Ausdrucks.
Früher eine Gebrauchsschrift, kann sie heute von Laien kaum mehr entziffert werden und wird praktisch nur noch von Schriftkünstlern benutzt.
Auch bei Zen-Mönchen war und ist Sosho als Ausdrucksmittel sehr beliebt.
Gyosho 行書, die Halbkursivschrift
Die leicht kursive Variante nennt sich Gyōsho.
Sie entwickelte sich ebenfalls aus Reisho und war durch ihre gute Lesbarkeit alltags tauglicher als Sosho.
Gyōsho zeichnet sich durch eine leichte und rhythmische Schreibweise aus. Die einzelnen Linien und Punkte sind zum Teil miteinander verbunden, die Zeichen stehen jedoch in der Regel alleine.
Sei es mit Bleistift, Kugelschreiber oder Pinsel, Gyōsho ist heute wohl der am meisten verwendete Schriftstil für Handschriften.
Kaisho 楷書, die Regelschrift
Später entstand die heutige Standartschrift Kaisho (siehe Bild). Sie war ein wenig schneller zu schreiben als Reisho, blieb jedoch trotzdem gut leserlich und viele Zeichen wurden ein erstes Mal vereinfacht.
Dies ist mit ein Grund weshalb Sōsho so schwierig zu lesen ist, denn viele Zeichen sind heute nur noch in der Kaisho-Form bekannt.
Kaisho wurde durch Gyōsho spürbar beeinflusst.
Bei Kaisho sind die formalen Vorgaben am genauesten. Anfangs- und Schlussform der Linien, ihre Stärke und subtile Krümmung, nichts wird dem Zufall überlassen. Typisch ist das auf Japanisch "ton-suu-ton" genannte aufsetzen-ziehen-absetzen des Pinsels innerhalb jeder einzelnen Linie.
Kaisho ist der erste Schriftstil der mit dem Pinsel eingeübt wird. Erst wenn die Pinseltechnik für die verschiedenen Formen beherrscht wird, darf zu Gyosho übergegangen werden.
Die heutige Druckschrift ist eine Kaisho-Form.
Vier für die ostasiatische Schriftkunst notwendige Materialien haben starken Einfluss auf das Resultat des Schreibens:
Pinsel, Tusche, Reibstein und Papier.
Es ist nicht nur ein grosses Vergnügen mit schönem Material zu schreiben, sondern das Material ist auch mitbestimmend für die Qualität und Art eines Schriftkunstwerkes.
Schriftkünstler sollten wissen, welches Material bzw. Werkzeug sich für einen gewünschten Effekt eignet. Und manchmal müssen sie sich anpassen können, um mit dem vorhandenen Material das bestmögliche Resultat zu erzielen.
Pinsel
Der Pinsel hat den grössten Einfluss auf das Werk. Ein geübter Shoka (Schreibkünstler) sollte mit jedem Pinsel schreiben können, aber nicht jeder Pinsel ist für alle Schreibstile geeignet. Gute Pinsel für die Regelschrift zum Beispiel, formen immer eine schöne Spitze und benötigen deshalb, neben Saugkraft, auch eine bestimmte Spannkraft. Dies wird oft durch die Verwendung von zwei Haar-Arten in einem Pinsel erreicht. Es ist schwierig in der Schweiz gute Pinsel zu kaufen und man sollte sich nicht durch einen aufwändig gestalteten Griff täuschen lassen.
Tusche
Chinesische Tusche ist wasserfest und lichtecht. Sie wird aus Russ, Bindemittel und einem Duftstoff hergestellt. Tuschstäbe sind oft schön verziert, aber auch hier gilt, dass die Verzierung nichts mit der Qualität zu tun hat. Gute, alte Tusche wird sogar gesammelt und als Antiquität gehandelt. Die Preisunterschiede können sehr gross sein. Heute wird aus Bequemlichkeit auch oft flüssige Fertigtusche verwendet.
Reibstein
Die Tusche muss auf einem Reibstein angerieben werden. Der Stein wird aus Natur- oder Kunststein gefertigt, kann jedoch auch aus Keramik bestehen. Seine Oberfläche bestimmt mit, wie fein die angeriebene Tusche wird. Reibsteine können sehr teuer sein, sind aber bei guter Pflege auch sehr langlebig und werden über Generationen vererbt.
Papier
Ostasiatisches Papier ist sehr dünn, saugfähig und dank langer Fasern relativ fest. Gute Papiere sind lichtecht. Da das Papier sehr dünn ist, muss später ein zweites Papier vollflächig aufgezogen werden. Auf Japanisch wird dies "ura uchi" genannt. Es glättet und stabilisiert das Papier, während die Tusche mehr Tiefe bekommt.
Westliches, geleimtes Papier ist für Shodo nicht geeignet, da die Tusche auf der Oberfläche bleibt und nicht in die Fasern eindringen kann.
Marco Genteki Röss ¦ Gillenauweg 3 ¦ 3177 Laupen (bei Bern) ¦ Tel. 031 351 07 58
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